Der Westen trägt also eine
Mitverantwortung am Krieg?
Das kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beurteilen, würde ich als
Historiker sagen. Ich wäre auch nicht überrascht, wenn es auch in
30 oder 50 Jahren, wenn die Archive geöffnet werden, immer noch
unklar bliebe. Sicher ist, dass es grosse historische Debatten über
diesen Krieg und seinen Ursprung geben wird.
Der Westen machte der Ukraine in der Vergangenheit aber doch
Hoffnungen auf einen Nato- und EU-Beitritt – statt dies mit
Blick auf Russland konsequent abzulehnen?
Fest steht: Es ist Krieg in Europa. War die Nato-Osterweiterung ein Fehler?
Die Zustimmung zu einer Ausdehnung der Nato auf Osteuropa wurde, wenn auch nicht explizit, immer wieder damit
begründet, dass Russland letztlich keine Mittel habe, das zu verhindern. Man glaubte, so mehr Sicherheit zu schaffen. 2022 muss
man sagen: Die Nato-Osterweiterung hat für einige Staaten mehr Sicherheit geschaffen –und für andere die Sicherheit zerstört.
Russlandkenner sehen das Ende der Ära Putin
MOSKAU. Experten erwarten, dass der Ukraine-Krieg das Ende Putins einläutet. Ein
Historiker hält das für Wunschdenken.
Gleich zwei bekannte russische Persönlichkeiten äusserten sich am Wochenende
dahingehend, dass der Ukraine-Konflikt auch das Ende von Putins Ära einläute. So
sagte der bekannte Kremlkritiker Michail Chodorkowski, der in London im Exil lebt:
«Wir gehen nun sehr schnell auf Putins Ende zu.» Wenn es einem Diktator nicht
gelinge, die Bevölkerung vom Sieg zu überzeugen, werde er innerhalb von zwei
Jahren seine Macht verloren haben, sagte er der «SonntagsZeitung».
Der in der Schweiz lebende russische Schriftsteller Michail Schischkin spricht in
einem Gastbeitrag in der NZZ gar von einer «Entputinisierung», die Russland nötig
habe. Auch Nicolas Hayoz, Politologieprofessor und Osteuropaexperte an der
Universität Freiburg, geht von einem Ende der Ära Putin aus. Der Angriff auf die
Ukraine hätte sein Karrierehöhepunkt werden sollen, sagt Hayoz. Doch er sei «die
grösste Katastrophe für ihn». Alle seine Prognosen seien falsch gewesen, in allem sei
das Gegenteil eingetreten: die geeinte Sanktionsfront, das geeinte Europa und die stärker werdende Nato. Und es könne noch schlimmer werden.
Russland werde binnen weniger Monate sehr arm sein.
Für Fabian Baumann, Osteuropahistoriker an der Universität Chicago, entspricht die Annahme, dass Putin womöglich bald abdanken müsse, einem
Wunschdenken. Natürlich liefere die Geschichte Gründe zur Annahme eines solchen Szenarios. Doch ebenso zeigten Beispiele, wie Putin
gerade durch Krieg seine Macht gefestigt habe. So habe etwa die Krim-Annexion 2014 seine Popularität in Russland «extrem gesteigert».
Die Rede von Wladimir Putin traf sie wie ein Blitz. Putin im Fernsehen plötzlich davon erzählte, dass es in Russland Verräter gäbe,
die westlich denken und sich an westlichen Werten orientieren". Das russische Volk werde diese Verräter "wie eine zufällig in den Mund
hineingeflogene Fliege einfach ausspucken", sprach Putin weiter.
Ist er der «Geist von Kiew»?
Bereits kurz nach Beginn derInvasion tauchten Berichte über ein ukrainisches Fliegerass auf, das in kürzester Zeit
sechs feindliche Jets vom Himmel geholt haben soll. Inzwischen soll die Erfolgsliste des Piloten auf über zehnAbschüsse
angewachsen sein. Der «Geist von Kiew» getaufte Pilot ist zu einem Symbol des Widerstands geworden – und laut
Einschätzungen von Experten vermutlich erfunden. Keine offizielle Stelle konnte bislang die angeblichen Abschüsse oder
die Existenz des Piloten bestätigen. Die Rede ist von einer modernen Sage oder schlicht von Propaganda. Jetzt hat der
Generalstab der Ukraine auf Facebook ein Foto des angeblichen «Geists» veröffentlicht. «Hallo,russischer Schurke, ich
hol mir deine Seele!», heisst es unter dem Post, der den Piloten im Cockpit seines MiG29-Kampfjets zeigen soll.